Das Photogramm|Licht, Spur und Schatten 08./09. April 2006
Tagungsbericht
In einem dürften sich die rund 40 Teilnehmer des Symposiums einig gewesen sein: Langweilig war es nicht. Unerwartet engagiert offenbarten sich die Diskussionen um den vermeintlichen medialen Outlaw Photogramm, der erstmals im Zentrum einer Tagung stand.
Die auf der Tagung anwesenden Kunsthistoriker waren anfangs ein wenig irritiert, daß das Photogramm nicht im Kunst-, sondern hauptsächlich im Wissenschaftskontext diskutiert wurde. Von deren Seite gab es zu Beginn der Veranstaltung gehörige Zweifel, z.B. ob man Röntgenbilder tatsächlich als Photogramme bezeichnen solle. Nicht zuletzt wurde eingangs der grundlegende Zweifel geäußert, ob man wirklich zwischen Photogramm und Photographie trennen könne, bzw. solle.
Es mag an der Schwerpunksetzung der Referenten gelegen haben, daß die Frage nach dem Verhältnis von Photogramm und Abdruckverfahren eher in den Hintergrund gedrängt wurde. Einen drängenderen Klärungsbedarf schienen die Mehrzahl der Teilnehmer vielmehr in der Frage nach der Beziehung von Photogramm und Photographie zu sehen. Es gab dabei zwei Hauptargumentationslinien: Die Vertreter der ersten sprachen sich für einen allgemein gefaßten Begriff von Photographie aus, indem sie von der Gemeinsamkeit einer photographischen Oberfläche ausgehend argumentierten. Die andere Linie verfolgte mehr die Aktion des Lichts und machte deutlich wie unterschiedlich es vor der photographischen Oberfläche physikalisch prozessiert wird. Der Unterschied der Argumentationslinien wurde in den beiden Vorträgen im dritten Block am Sonntag Morgen besonders deutlich. So plädierte aus historischer Sicht die Photographiehistorikerin Kelley Wilder für einen umfassenderen Photographiebegriff, da sich kein homogenes begriffsgeschichtliches Bild von Photogramm und Photographie zeichnen ließe. Der Informatiker und Ray-Tracing-Experte Philip Slusallek sah hingegen deutliche verfahrenstechnische Differenzen und demonstrierte anhand eines Schemas, wie unterschiedlich die Strahlenwege des Lichts bei Photogramm und Kameraphotographie verlaufen, bevor es auf der lichtempfindlichen Oberfläche eintrifft.
Hinter den beiden Argumentationslinien verbarg sich unterschwellig auch verschiedene methodische Herangehensweisen. Erstaunlicherweise spielte dabei ein bildimmanenter Ansatz auf dem Symposium so gut wie gar keine Rolle. Gegenüber einem solchen Ansatz wandte beispielsweise Monika Dommann ein, daß sie sich in ihrer Auseinandersetzung mit frühen Röntgenaufnahmen mehr Aussagekraft von dichten Beschreibungen des Entstehungskontextes von Bildern verspricht, als von der isolierten Betrachtung von Bildern. Die radiologische Diagnose sei schließlich ein Konglomerat verschiedenster Informationen und nicht reine Bildinformation, was sie am Beispiel der Patientenakte verdeutlichte. Die mehrheitlich auf der Tagung vertretenen Kunst- und Wissenschaftshistoriker sahen sich überwiegend mit diesem historischen, meist produktionsästhetischen Ansatz verbunden. Demgegenüber begegneten die Vertreter von Kunst und Naturwissenschaft dem Photogramm zuallererst auf der Ebene der technischen Definition. Auch von philosophischer Seite setzte sich Lambert Wiesing vehement für eine solche definitorische Klärung ein.
Die vier halbstündigen Panels gaben ausreichend Raum, mit den Referenten eingehend zu diskutieren. So wurden u.a. eingängig erörtert, inwiefern man von kameraloser Photographie sprechen könne und was der Begriff der Plastizität bei Röntgenbildern bedeutete. Es gab darüber hinaus produktive Exkurse, die z.B. das Verhältnis von Photographie und Diagramm näher erörterten. Immer wieder führte die heterogene Zusammensetzung der Teilnehmer auch zu gegenseitigen produktiven Irritationen: So zeigte Philipp Slusallek sich überrascht von der auf dem Symposium verwendeten, ihm nicht geläufigen Semantik des Begriffs Spur und der häufig damit verbundenen Erregung der Diskussionsteilnehmer.
Bei der Soirée am Samstag Abend kam das Photogramm auch als Kunstform zum Zuge. Kontrastiert durch einen didaktischen Röntgenfilm aus dem Jahre 1937 gaben fünf Filme einen seltenen Einblick in das photogrammatische Filmschaffen von 1923 2002. Im abschließenden Talk mit Floris M. Neusüss wurde u.a. von Noam Elcott die interessante Frage aufgeworfen, ob nicht die jüngste Renaissance des Photogramms damit zusammenhänge, daß die Künstler auf Ansätze des 19. Jahrhunderts rekurrierten.
Wenn es einen minimalen Konsens gab, den sich die heterogene Besucherschaft innerhalb der kurzen Zeit von lediglich zwei Tagen in den Diskussionen und Gesprächen erarbeitet hat, dann lag er wohl in der Formulierung, daß es sich bei Photographie und Photogramm um zwei verschiedene Repräsentationsformen handele. Das Aufeinandertreffen dieser unterschiedlichen Techniken der Repräsentation in ein und demselben Bild arbeitete Peter Geimer sehr anschaulich anhand einer Fliege heraus, deren Schatten sich als Photogramm auf einer historischen Kameraphotographie bemerkbar machte. Worin dieser Unterschied in der Repräsentation womöglich liegt, dafür gab im allerletzten Publikumsbeitrag Noam Elcott einen Erklärungsversuch. Folgt man ihm, so geht es in der kameralosen Photographie respektive Photogramm, um ein besonderes Verhältnis von dreidimensionalem Körper und aller Arten von Strahlung. Daß es dabei nicht wie in der Photographie um die Oberfläche der Körper gehe, sonder vielmehr um die Durchlässigkeit der Köper zeige sich insbesondere bei Röntgenbildern, aber auch in anderen Spektren des Lichts. Das wesentliche Indiz einer Unterscheidung liegt hier für ihn darin, daß es bei den aus dieser Durchlässigkeit resultierenden Bildern quasi bedeutungslos ist, noch von positiv und negativ zu sprechen.
Redaktion Tagungsbericht: Tim Otto Roth/ Miriam Seidler, Köln 2006